Hochstapler, die eigentlich Tiefstapler sind
Zwei von fünf erfolgreichen Menschen haben das Gefühl, Hochstapler zu sein, ihren Erfolg nicht zu verdienen. Dies belegen viel zitierte Studien. Die Rede ist hier von hochintelligenten Menschen, oft in Führungspositionen oder im Rampenlicht. Albert Einstein offenbarte einen Monat vor seinem Tod gegenüber einem Freund: "die übertriebene Anerkennung für mein Lebenswerk macht mich krank, ich fühle mich als unfreiwilliger Schwindler".
Was ist das Impostor-Syndrom?
Das Hochstapler-Syndrom, oder Impostor-Syndrom, ist seit den späten 70ern unter diesem Namen bekannt. Damals schrieben zwei amerikanische Psychologinnen das erste Mal über dieses verbreitete Phänomen. Es handelt sich dabei nicht um eine psychische Störung, es kann aber darin münden, zum Beispiel in Burnout oder Depression.
"Jeden Moment wird jemand herausfinden, dass ich eine Hochstaplerin bin und dass ich nichts von dem verdiene, was ich erreicht habe", diese Aussage stammt von Schauspielerin Emma Watson. 70 Prozent aller Menschen kennen zumindest in gewissen Situationen das Gefühl, dass sie zu Unrecht etwas erreicht haben, oft verbunden mit der Angst, dass ihr Unvermögen auffliegen könnte.
Auch viele Absolventen nach bestandener Prüfung kennen das Gefühl gut. Es taucht unabhängig von der tatsächlich erbrachten Leistung und den Mühen, die zu dieser geführt haben, auf.
Zunächst ging man davon aus, dass hauptsächlich Frauen davon betroffen sind, in späteren Studien zeigte sich jedoch ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass Minderheiten verstärkt davon betroffen sein können, wenn sie aufgrund ihres Minderheitenstatus eine besondere Aufmerksamkeit und Förderung erhalten. Belegt ist auch, dass Aufsteiger aus eher bildungsfernen Familien dazu neigen, sich als fehl am Platz und folglich als Hochstapler zu fühlen.
Das gegenteilige Phänomen nennt sich Dunning-Kruger-Effekt und bezeichnet die Neigung inkompetenter Menschen, ihre Fähigkeiten zu überschätzen. Der Philosoph Bertrand Russell schrieb 1933 mit Blick auf die damalige Politik und lange vor der Entdeckung der beiden Phänomene: "Die grundlegende Ursache der Probleme ist, dass die Dummen todsicher und die Intelligenten voller Zweifel sind".
Übrigens sind laut einer aktuellen Studie Menschen mit Hochstapler-Syndrom empathischer und wirken sympathischer auf Andere.
Habe ich das Impostor-Syndrom?
Menschen mit Impostor-Syndrom können keine Komplimente annehmen, da sie sie als unverdient empfinden. Sie leben in der Angst, dass ihr Unvermögen offenbar werden könnte. Wohlgemerkt haben diese Menschen in der Regel mehr als einmal unter Beweis gestellt, dass sie leistungsfähig und kompetent sind. Häufig gibt es dafür auch handfeste Belege und eine nicht selten steile Karriere. Glück, Charme oder Irrtümer alleine können dafür wohl kaum die Erklärung sein. Es handelt sich also um eine klare Fehlwahrnehmung. Woher weiß man aber, ob man selbst ein Hochstapler ist oder sich nur so fühlt?
Psychologen haben im Versuch einer Objektivierung spezifische Merkmale zusammengetragen: Wenn man sich für nicht gut genug hält, sich über eigene Erfolge nicht richtig freuen kann, selten andere um Hilfe bittet und keine Komplimente mag, sind das starke Hinweise auf ein Impostor-Syndrom. Wenn man glaubt, ständig von Anderen überschätzt zu werden, großen Wert auf die Meinung Anderer legt und ständig in der Angst lebt, die vermeintliche eigene Unfähigkeit könne auffliegen, dann verdichten sich die Hinweise darauf weiter. Nicht alle genannten Punkte müssen zutreffen, aber je mehr, umso wahrscheinlicher ist das Vorliegen eines Hochstapler-Syndroms.
Auf der Suche nach den Ursachen
Nun haben sich die Psychologen selbstverständlich auch Gedanken darüber gemacht, wie es kommt, dass Menschen diese Fehlwahrnehmung entwickeln. Zwei Erklärungsmodelle kristallisieren sich dabei in Studien als zutreffend heraus.
Wie so oft liegen die Ursachen für die massiven Selbstzweifel vermutlich in unserer Kindheit. Vom Impostor-Syndrom scheinen Menschen betroffen zu sein, die von ihren Eltern in der Kindheit übermäßig gelobt worden sind und dies als inkongruent zu ihrem eigenen Empfinden erlebt haben. Die meisten Eltern neigen dazu, den eigenen Nachwuchs als intelligenter und leistungsfähiger als andere Kinder einzuschätzen. Das ist völlig normal, entscheidend ist aber, wie sie sich gegenüber dem Kind dazu äußern. Natürlich spielt auch die Persönlichkeit des Kindes eine Rolle. Wer ängstlich ist, wird durch solche Äußerungen der Eltern einen stärkeren Leistungsdruck verspüren, um den Aussagen gerecht zu werden. Kinder, die von ihren Eltern unterschätzt werden, laufen ebenso Gefahr, ein Hochstapler-Syndrom zu entwickeln. Ein zugegeben etwas plakatives Beispiel: die Eltern weisen (unbewusst) der Tochter die Rolle des einfühlsamen Kindes zu, weil die des intelligenten Kindes bereits an den großen Bruder vergeben ist. In dieser Konstellation steht das Kind unter dem Druck, immer wieder beweisen zu müssen, dass es bestimmte Fähigkeiten besitzt.
Beide Szenarien münden in einem perfektionistischen Verhalten und bekanntermaßen führt Perfektionismus zu Unzufriedenheit, da es die absolute Perfektion nicht gibt. Weil die Betroffenen sich jedoch an der Perfektion messen, scheitern sie regelmäßig - zumindest in ihrer eigenen Wahrnehmung.
Coping-Strategien
Frauen neigen als Reaktion auf ihre Hochstapler-Gefühle eher zum Rückzug. Sie bringen ihre Ideen nicht ein, aus Angst, in ihrer vermeintlichen Unfähigkeit enttarnt zu werden. Männer entwickeln häufig eine hektische Betriebsamkeit, um nach außen ein aktives Bild zu vermitteln und so ihre empfundene Minderqualifikation zu verbergen.
Um trotz der massiven Selbstzweifel erfolgreich zu sein, entwickeln Betroffene verschiedene Strategien. Die einen strengen sich noch mehr an, was an sich ja positiv ist, allerdings verwenden sie für diesen Perfektionismus so viel Energie, dass sie bisweilen in einem Burnout landen. Andere schieben die Erledigung von Aufgaben auf, auch als Prokrastination bekannt. Erst kurz vor der Deadline werden sie aktiv und rechtfertigen mit der kurzen Bearbeitungszeit das vermeintlich schlechte Resultat ihrer Arbeit.
Was tun, um sich nicht mehr als Hochstapler zu fühlen?
Solltest Du Dich in einigen Aussagen zum Impostor-Syndrom wiedererkannt haben, fragst Du Dich sicher, ob Du etwas dagegen tun solltest und wenn ja, was. Letztlich fühlt man sich offensichtlich nicht gerade glücklich und zufrieden und niemand möchte obendrein eine Depression entwickeln, die einen längerfristig beruflich und privat aus der Bahn werfen kann.
Um ehrlich zu sein, es ist nicht ganz einfach, das Impostor-Syndrom wieder loszuwerden, da es so eng mit unserer Persönlichkeit verwoben ist. Der erste Schritt ist mit der Erkenntnis jedoch schon getan. Es ist elementar, sich der bestehenden Fehlwahrnehmung bewusst zu werden. Albert Einstein, Emma Watson und Du, Ihr seid mit dem Problem nicht alleine. Auch Natalie Portman, Penélope Cruz, Michelle Obama, Chuck Lorre - um nur einige weitere prominente Betroffene zu nennen - haben sich zum Impostor-Syndrom bekannt.
Hier einige Tipps, die helfen, das Hochstapler-Syndrom zu überwinden:
- Wenn die Unsicherheit kommt, mach Dir bewusst, dass es sich dabei um das Impostor-Syndrom handelt und Du damit nicht alleine bist.
- Gleiche real erreichte, unbestreitbare Erfolge mit Deinem aktuellen Minderwertigkeitsgefühl ab.
- Führe ein Tagebuch über alle großen und kleinen Erfolge, aus dem beim Blick hinein sofort hervorgeht, dass diese Erfolge echt und selbst erarbeitet sind.
- Rede mit anderen Menschen darüber. Du erinnerst Dich, dass es viele betrifft, also wird es in Deinem Umfeld auch jemanden geben, der Dich versteht. Alternativ findest Du im Internet Foren, in denen Du Dich mit anderen Betroffenen austauschen kannst.
- Wenn Du ein Kompliment bekommst, versuch, Deine Reaktion darauf bewusst zu ändern, indem Du Dich dafür bedankst und es für Dich annimmst. Mit der Zeit wird sich das Gefühl verinnerlichen, dass Du es verdient hast
Nehmen Deine negativen Gedanken zu, fühlst Du Dich durchgehend energielos, kommst Du morgens immer schwerer aus dem Bett, macht nichts mehr Spaß? Dann hast Du vielleicht eine Depression und der beste Weg ist eine Verhaltenstherapie. Professionelle Hilfe erleichtert das Erkennen schädlicher Denk- und Verhaltensmuster, übt den Abgleich Deiner Empfindungen mit der Realität und die Therapie ist eine wichtige Motivationshilfe.
Fazit
Das Impostor-Syndrom betrifft viele, insbesondere erfolgreiche, intelligente Menschen, Du bist damit also nicht alleine. Leider führt es dazu, dass Du Dich minderwertig fühlst, ohne dass es dafür einen Grund gibt. Schlimmstenfalls droht aufgrund des Leistungsdruckes und ständiger Unzufriedenheit eine Depression. Versuch es mit den oben genannten Tipps, damit gibst Du negativen Gefühle eine zunehmend kleinere Bühne. Es steht Dir zu, Deine selbst erarbeiteten Erfolge zu genießen.